Aktuell Bilder Wettbewerbe

Global Peace Photo Award 2020: Sasan Moayyedi für das „Friedensbild des Jahres“ ausgezeichnet

Das "Friedensbild des Jahres 2020" stammt von dem iranischen Fotograf Sasan Moayyedi. (c) Sasan Moayyedi / Alfred Fried Photography Award

Das "Friedensbild des Jahres 2020" stammt von dem iranischen Fotograf Sasan Moayyedi. (c) Sasan Moayyedi / Alfred Fried Photography Award

Die fünf gleichberechtigten Gewinner des bereits zum achten Mal veranstalteten Global Peace Photo Awards (ehemals Alfred-Fried-Photography Award) sind Alain Schroeder für seine Fotoserie „Saving Orangutans“, Catalina Martin-Chico für „(Re) Birth“, Emeke Obanor für „Heroes“, Nicolas Asfouri für „Hongkong Unrest“ und Sasan Moayyedi für „Love Story“. Allen fünf Preisträgerinnen und Preisträgern wurde bei der Sieger-Gala in Baden bei Wien die Alfred-Fried-Friedensmedaille überreicht.Aus den fünf Serien wählte die Jury das mit 10.000 Euro dotierte „Friedensbild des Jahres 2020“, das an die Fotoserie des in Teheran lebenden iranischen Fotografen Sasan Moayyedi ging.

Gruppenbild nach der Präsentation der Gewinnerbilder: Die anwesenden Gewinner, der Jury-Mitglieder, der Redner und der Veranstalter. (c) Parlamentsdirektion / Anna Rauchenberger
(c) Anastasia Bolshakova / Alfred Fried Photography Award

Überdies wurde auch das mit 1.000 Euro dotierte beste Friedensbild in der Kinder- und Jugendkategorie ausgezeichnet. Diesen Preis gewann die vierzehnjährige Anastasiya Bolshakova mit ihrem Foto, „Flight of the Soul“. Dieses Bild ist eine Liebeserklärung an den Sommer. An die Zeit, in der, wie sie überzeugt ist, „alles lebt“ und „die Natur aus voller Brust atmet“. An die Zeit, in der alles „für die Schönheit bereit“ sei. In der die Blumen duften. Eine Zeit des Müßiggangs und der Glückseligkeit. Frei von jeder Beschwernis. Aus einer friedlichen Kindheit in friedlicher Landschaft. Ein bisschen traumwandlerisch, sehr leicht, sehr luftig. Beseelt vom Gefühl, gefahrlos zwischen Himmel und Erde fliegen zu können.

Eröffnet wurde die Siegerehrung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der die Unterstützung des Global Peace Photo Awards durch das Österreichische Parlament betonte, in dessen Räumen die Siegergala üblicherweise stattfindet. Aufgrund der Umbauarbeiten des Parlaments wich man dieses Mal auf eine Bühne im Kurpark von Baden aus, ein Ort, der aber in das Open-Air-Festival  La Gacilly-Baden Photo integriert ist. Dort sind die ausgezeichneten Bilder ausgestellt und noch bis zum 17. Oktober 2021 zu sehen.

„Was uns diese Bilder heute Abend mitgeben, ist das“, so Sobotka, „was wir als Innehalten bezeichnen. Das braucht unsere Republik, das braucht die Welt als Gesamtes und das braucht jeder einzelne Mensch. Denn jeder ringt darum, dass er für sich, für seine Familie, für seine Umgebung in Frieden leben möchte und sich bestmöglich verwirklichen kann. Die Fotografie versteht, diese Augenblicke einzufangen und uns unvermittelt zu präsentieren. Und dafür bin ich auch persönlich dankbar.“

Ein weiterer Redner Márton Gergely, Chefredakteur der ungarischen Wochenzeitung HVG, der auf Einladung von Barbara Trionfi, der Direktorin des International Press Institute (IPI), nach Wien kam. Er sagte  in einer berührenden Rede: „Wir arbeiten in einer Zeit, in der die Mächtigen unliebsame Medien als Fake News abkanzeln und Journalisten und Journalistinnen zum Feind erklären. Sie unterstellen Medienschaffenden, in Wahrheit politische Akteure zu sein, die im Dienste der Ideologie Lügen verbreiten. Sie tun das, weil sie wissen: Echte Journalisten können auf ihre Provokation nur sehr begrenzt antworten. Journalisten sind der Wahrheit verpflichtet. Wir machen all das, weil wir am Ende mit unseren Namen für die Wahrheit unserer Inhalte einstehen. Die Mächtigen dieser Welt sind das leider nicht.“

Während Gergely seine Rede hielt, wurden auf der Leinwand hinter ihm die Namen der 91 Journalistinnen und Journalisten sowie Fotoreporterinnen und Fotoreporter eingeblendet, die seit der Preisverleihung des Friedensfotos des Jahres 2019 getötet wurden. Einer davon war Danish Siddiqui. Er war Foto-Chef von Reuters in Indien und starb vor wenigen Tagen in einem Hinterhalt der Taliban in Afghanistan. Einen Tag zuvor wurde Peter de Vries mitten in Amsterdam niedergeschossen. Wieder nur Tage zuvor starb Alexander Lashkarava an seinen Verletzungen. Er wurde von rechtsradikalen Schlägern verprügelt, als er von einem Anti-LGBTQ Marsch berichten wollte.

Silvia Lammerhuber, David Beasley und Wolfgang Sobotka nach Enthüllung des Siegerbildes von Sasan Moayyedi. (c) Klaus Lorbeer

Der Hauptredner war David Beasley, Exekutivdirektor des UN World Food Programme, das 2020 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Er hielt eine beeindruckende Rede, in der er seiner Überzeugung Ausdruck verlieh, dass es möglich sei, den Welthunger zu beenden – dazu sei es aber notwendig, dass dort, wo Hunger herrsche, die Menschen in Frieden miteinander lebten. Denn Kriege und Auseinandersetzungen voller Gewalt hinderten die UN-Helfer bei ihrer Arbeit.  Es sei ein Teufelskreis, der durch den Klimawandel und die Pandemie verstärkt wurde, so Beasley. Die Maßnahmen, die die reichen Industriestaaten gegen die Covid-19-Pandemie setzten, unterbrachen Lieferketten und führten in Folge zu mehr Hunger und auch Toten im globalen Süden. „Gott sei Dank gibt es Fotografen, die uns helfen, den Nebel zu lichten, damit wir die Realität erkennen können“, sagte Beasley, der davon überzeugt ist, dass „wenn wir die Wahrheit sehen, werden die Herzen berührt und die Menschen reagieren.“

Die Bilderserien der Gewinner und Gewinnerinnen

Peter-Matthias Gaede, Jury-Mitglied und langjähriger Chefredakteur von GEO beschreibt die höchste berührende Fotoserie von Sasan Moayyedi folgendermaßen: „An einem Septembertag im Jahr 2001 tritt der damals 15-jährige Salah Saeedpour bei einem Familien-Picknick in der iranisch-kurdischen Provinz Marivan nahe der Grenze zum Irak auf eine Landmine, eine der vielen bis heute gefährlichen Hinterlassenschaften des irakisch-iranischen Krieges zwischen 1980 und 1988. Der Junge verliert beide Hände. Und beide Augen. Er wird physisch zum Krüppel; nach den Zahlen, in denen so etwas bemessen wird, ist er seither zu 70 Prozent behindert.

Aber er gibt nicht auf. Trainiert seinen verstümmelten Körper, auch ohne dass er die Welt sehen kann, bis er Medaillen im Schwimmen gewinnt. Und trifft auf die Liebe seines Lebens, eine junge kurdische Frau, die er 2014 heiratet: Sarveh Amini.

Vier Monate nach der Hochzeit beginnt der iranische Fotojournalist Sasan Moayyedi, das Leben des Paares zu begleiten, bis heute: Die Geschichte eines privaten Friedens, der die Kraft hat, über den Krieg zu siegen. Eine Geschichte, die, wie er sagt, dem neuen Leben mehr Bedeutung gibt als aller traurigen Vergangenheit. Eine Geschichte vom gemeinsamen Besiegen aller Einschränkungen und Hindernisse. Salah schafft seinen Universitäts-Abschluss in Jura. Gewinnt weitere Medaillen. Das Paar vertieft sich in Bücher, aus denen Sarveh ihrem Mann vorliest, besucht Buchmessen, unternimmt Ausflüge, macht Sport, feiert, hört Musik. Tut nichts anderes als andere Paare, tut das nur eben in Überwindung all dessen, was andere Paare nicht zu überwinden haben. Tut es deshalb vielleicht inniger, weil zu dieser Liebe auch gehört, dass nicht beiden alles möglich ist. Weil hier nicht eine Hand der anderen helfen kann. Weil nur eine für beide sehen muss. Und in was sie sieht, vernarbt ist bis ans Lebensende.

Love Story. Weshalb der Fotograf und Dokumentarfilmer Moayyedi diese Geschichte selber als eine Geschichte vom Frieden sieht, wird auch daraus erklärlich, dass er eine der schlimmsten Bilder vom Krieg mit eigenen Augen gesehen hat: Die Folgen einer Giftgas-Attacke der Truppen Saddam Husseins auf die kurdische Stadt Halabdscha 1988, bei der mindestens 3000, wohl eher 5000 Menschen starben. Halabdscha, sagt er, schmerze noch immer „wie ein Messer im Rücken“. Einen akuteren Schmerz, sagt Sasan Moayyedi, habe er empfunden, als er die Situation der von ISIS-Terroristen verfolgten Jesiden in der Ninawa-Provinz im Norden Iraks dokumentierte. Und deshalb findet er die Geschichte vom Friedensschluss und Friedensgewinn zwischen Salah und Sarveh so wichtig und so schön, dass er beschlossen hat, sie bis zum Ende seiner Zeit als Fotoreporter zu begleiten.“ Aufgrund einer schweren Erkrankung konnte Sasan Moayyedi den Preis nicht persönlich in Empfang nehmen, er sandte aber eine Videobotschaft.

Nachfolgend eine Bildauswahl aus der Serie „Love Story“ von Sasan Moayyedi:

Peter-Matthias Gaede über die Bilderserie „Saving Orangutans“ von Alain Schroeder: „Erinnern sich einige vielleicht an die Bildnisse des Märtyrers Christophorus, der der christlichen Legende nach einst das Jesuskind auf seinen Schultern durch die Fluten trug? Es könnte einem eine solche Assoziation kommen beim Betrachten jenes Fotos aus dem Regenwald Sumatras: Das Mitglied einer Schutzorganisation für gefährdete Orang- Utans trägt ein Orang-Utan-Waisenkind über den Fluss.

Nur ist der Mann, anders als Christophorus in der Sage, leider kein Riese. Aber immerhin, wie die anderen Helfer aus den Teams von Orangutan Information Center, Human Orangutan Conflict Response Unit und Sumatran Orangutan Conservation Programme, ist er ein Kämpfer. 

Ihre Mission: Frieden mit der Natur zu machen. Frieden mit jenen Geschöpfen des Waldes, die 97 Prozent ihres Genmaterials mit uns Menschen teilen. Frieden mit jenen Menschenaffen, von denen es in Indonesien vermutlich nur noch 15 000 in Freiheit gibt.

Nur noch knapp 15 000, weil ihr Lebensraum für Palmöl- und Gummiplantagen gerodet wird. Durch Holzeinschlag, Straßenbau und Minen zerstört wird. Und weil sie gejagt und getötet werden.

Alain Schroeder zeigt in sehr anrührenden Bildern, was es bedeutet, zu retten, was noch zu retten ist. Er zeigt dramatische Nothilfe-Aktionen an verletzten und kranken Tieren, Operationen, Infusionen, Zuwendung, Erbarmen mit der gequälten Kreatur. Er zeigt die Dankbarkeit und die Innigkeit, zu der Menschenaffen fähig sind. Er zeigt die Abhängigkeit der Tiere von einigen in sehr spezifischem Sinne friedensbewegten Menschen. Er zeigt den Tod und kleine Hoffnungen auf ein Happy End, die Ertüchtigung für ein Weiterleben in der Freiheit der verbliebenen Wälder.

Alain Schroeder, geboren in Belgien 1955, blickt auf eine überaus erfolgreiche Fotografen-Karriere zurück. Mehr als einmal ist er mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet worden, dazu mit anderen großen Preisen. Von National Geographic über Paris Match bis GEO sind seine Reportagen ausgezeichnet worden; in mehr als 30 Büchern sind sie zu sehen.

Aber Alain Schroeder macht es sich nicht bequem. Wie andere engagierte Fotografinnen und Fotografen ist er konfrontiert mit der Krise von Print-Medien, die immer weniger Aufträge erteilen – und immer schlechter zahlen. Ja, gar erwarten, die Arbeit eines Fotografen sei kostenlos zu bekommen. Alain Schroeder hat seine Anteile an der von ihm einst gegründeten Foto-Agentur „Reporters“ verkauft, um jene Geschichten realisieren zu können, die ihm wichtig sind. Er lebt aus dem Koffer, ist zum Nomaden geworden. Hat Kinder-Jockeys in Indonesien fotografiert, Kohleminen in Osteuropa, das Elend der Rohingya-Flüchtlinge – und eben die Dschungel-Kliniken für Orang-Utans. Er hat dort gesehen und dokumentiert, was er als „Freundschaft“ bezeichnet.“

Nachfolgend eine Bildauswahl aus der Serie „Saving Orangutans“ von Alain Schroeder:

Peter-Matthias Gaede über die Bilderserie „(Re) Birth“ von Catalina Martin-Chico: „Frieden nach 53 Jahren Krieg. Neues Leben nach dem Tod von 260 000 Menschen. Die Freiheit, zu lieben nach all den Verboten. Behüten statt kämpfen.

Als es nach einem halben Jahrhundert in Kolumbien zu einem Abkommen zwischen marxistischer FARC-Guerilla und Regierung kommt, das Töten in den Wäldern zu beenden, beginnt in den Verstecken der ehemaligen Kämpfer, beginnt in 26 eingerichteten Übergangssiedlungen ab 2017 so etwas wie Normalität. Deren ganz besonderes Zeichen ist eine kleine Geburtenwelle.

Was den Frauen unter der etwa 7000-köpfigen Guerilla zuvor verboten war, weil es die schnellen und heimlichen Bewegungen im Dschungel erschwert hätte, dürfen sie nun wieder: Sie dürfen Leben spenden, sie dürfen Kinder bekommen. Und gleich 300 von ihnen tun es. Sie dürfen wieder daran glauben, möchten es zumindest, dass ihre Zukunft aus etwas anderem bestehen wird als aus Angriff und Flucht, Gewaltausübung und Gewalterfahrung, Ungewissheit und Isolation.

Sondern vielleicht aus Integration und Sicherheit, Familienleben und Anerkennung.

Dieses „Vielleicht“ zeigt sich in jenem Bild, das die französisch-spanische Fotografin Catalina Martin-Chico von einer stillenden Mutter in einem elenden, verschlammten Dschungel-Camp zwischen nassen Zeltbehausungen aufgenommen hat. Catalina Martin-Chico war zu mehr als einer Momentaufnahme in Kolumbien; sie ist seit Juni 2017 auch in den Folgejahren dorthin gereist, hat den überaus fragilen Friedens-Prozess vom Waffenstillstand über die Abgabe der Waffen bis zur allmählichen Rückkehr vieler Guerilleras und Guerilleros in Gemeinden und Städte und auf das Farmland ihrer Verwandten erlebt und dokumentiert. Die Rückkehr in ein ziviles Leben. Und zugleich den Abschied vom Traum, jemals „El dorado“, das gelobte Land zu finden.

Und in diesem Sinne ist das Bild, das von unserer Jury als herausragend aus den Foto-Reportagen von Catalina Martin-Chico ausgezeichnet worden ist, eben doch auch eine Momentaufnahme. Weil es eine Hoffnung zeigt, die sich längst nicht für jeden erfüllt hat. Hunderte ehemalige FARC-Kämpfer sind seit dem offiziellen Friedensabkommen Ende 2016 ermordet worden; es gibt gar Anzeichen für eine neue Gewaltspirale in Kolumbien.

So also, wie es die Fotografin zeigt: Kinder, die in Badewannen plantschen; um ein Baby oder am Esstisch versammelte Familien; Männer und Frauen in Hängematten; Mädchen in hübschen Kleidern; Väter, die ihre kleinen Jungen küssen; Frauen, die sich schminken – so sieht Frieden aus. So sollte es sein. Und scheint doch zerbrechlich zu sein.

Catalina Martin-Chico hat sich ihre Kenntnisse der Fotografie am International Center of Photography, dem ICP, in New York erworben; sie lebt heute in Paris. Regelmäßig war sie im Jemen unterwegs. Sie versteht sich in der Tradition einer sozial engagierten Fotografie. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in Le Monde, GEO, Spiegel, New York Times und dem Figaro-Magazin veröffentlicht und bereits mehrfach ausgezeichnet. Auch in den USA, in Frankreich und in der Karibik hat Catalina Martin-Chico in jüngerer Zeit Foto-Reportagen erarbeitet, aber die ehemaligen FARC-Kämpferinnen bleiben ihr eine Herzensangelegenheit. Es sind Frauen, die ihre Babys hatten abgeben müssen oder bis zu fünf erzwungene Abtreibungen hinter sich haben, teils noch im sechsten Monat, weil, wie ihnen gesagt wurde, „eine Armee keine Kinder“ hat. Und die nun glücklich auf ihren dicken Bauch zeigten und der Fotografin sagten: „Ich habe dieses Baby wirklich verdient.“

Nachfolgend eine Bildauswahl aus der Serie „(Re)Birth“ von Catalina Martin-Chico:

Peter-Matthias Gaede über die Bilderserie „Heroes“ von Emeke Obanor: „Sie waren von der nigerianischen Terror-Truppe Boko Haram entführt. Wurden einer Gehirnwäsche unterzogen. Sollten sich abkehren von jedem Wunsch, als Mädchen eine Schulbildung zu erhoffen. Sie wurden bei Aktionen des nigerianischen Militärs befreit. Oder konnten fliehen, als man sie mit Bombengürteln auf Suizid-Aktionen aussandte. 

Nun sind sie wenigstens wieder frei. Und zurück in der Schule. Zurück an einem Ort, an dem sie lernen und klüger werden dürfen. Wo sie lesen, schreiben und mit Zahlen umgehen dürfen. Wo es kein Bilderverbot gibt. Wo ein Globus zeigt, wie die Welt aussieht. Englisch und Biologie dürfen sie lernen, auch Geschichte. Comics dürfen sie sich anschauen und Stifte in die Hand nehmen. Hefte dürfen sie besitzen. Wissbegierige Jugendliche dürfen sie sein. Alles das, was eine islamistische Terror-Philosophie als westlich und verkommen ansieht – und schon gar nicht im Einklang mit den Rechten einer Frau, der eigenständiges Denken nicht erlaubt sein soll. 

Aus dem Krieg zurück im Frieden sind sie. Wenn auch noch sicher traumatisiert. Und wenn auch vielleicht sogar stigmatisiert. Aber einige von ihnen haben sich die Kraft erhalten, an ihren Träumen festzuhalten. 16 oder 17 Jahre alt sind sie. Wollen Krankenschwester werden oder Lehrerin. Manche von ihnen waren 13, als sie entführt wurden. Manchen von ihnen war der Schulbesuch auch vor der Entführung untersagt, von den Eltern. Und umso mehr ist er ihnen jetzt ein brennendes Begehren. 

Der nigerianische Fotograf Emeke Obanor hat die Mädchen in einen Schutzraum gestellt. Er zeigt nicht ihre Gesichter. Er weiß um ihre Angst und ihr kollabiertes Vertrauen, auch wenn sie mutig sind. Er weiß um die Zerbrechlichkeit jedes Friedens in einem Land wie Nigeria. Und versteht sich ohnehin als ein Fotograf, der mehr will als die pure Abbildung des Vorgefundenen, eher schon die künstlerische Verdichtung, um zu dokumentieren, was in und hinter Geschichten zu lesen ist. 

Emeke Obanors ästhetische Bildsprache, Ergebnis seiner Erfahrung auch in den Bereichen Theater und Kunst, hat ihm die verdiente Anerkennung weit über die Grenzen seines Landes gebracht, diverse Auszeichnungen auf internationaler Ebene. Und den Ruf, „intuitiv“ und „frisch“ zu sein. Doch so minimalistisch schön und neuartig seine Visualisierungen sein mögen: Fest verortet ist er in der von ihm selbst so empfundenen „Verpflichtung“, seine Bilder zu Zeugnissen des „Mitgefühls mit den Unterdrückten“ zu machen.“

Nachfolgend die Bildserie „Heroes“ von Emeke Obanor:

Peter-Matthias Gaede über die Bilderserie „Hongkong Unrest“ von Nicoals Asfouri: „Gib mir Freiheit“, schreiben sie auf ihre Plakate. Oder einfach nur „Liebe“. Oder auch „SOS“. 

Es ist das Jahr 2019 in Hongkong. Gemäß der 1997 zwischen China und Großbritannien getroffenen Vereinbarung ist die ehemalige britische Kronkolonie zwar bereits Bestandteil Chinas, soll aber noch bis 2047 einen weitgehenden Autonomie-Status behalten: „Ein Land, zwei Systeme“. Doch der laufend größer werdende Zugriffsversuch Festland-Chinas manifestiert sich in diesem Jahr 2019 unter anderem in einem von seiner Statthalterin erarbeiteten Gesetzesentwurf, der die Auslieferung von Systemgegnern an das Pekinger Regime ermöglichen soll.

Dagegen gehen Schüler und Studenten auf die Straße, junge Frauen und Männer. Dann immer mehr Menschen, eine Pro-Demokratie-Bewegung, überwiegend friedlich, teils auch militant, die immer gewalttätiger von Polizeikräften unterdrückt wird, mit Knüppeln und Tränengas zunächst, später auch mit scharfer Munition. 

Es ist vielleicht nicht ganz einfach zu verstehen, was wir da mit einem Bild des Fotografen Nicolas Asfouri ausgezeichnet haben. Frieden? Doch wohl eher nicht. Frieden sieht so nicht aus. Vor allem dann nicht, wenn man die gesamte Foto-Reportage von Nicolas Asfouri anschaut: Die Bilder von Wasserwerfer-Kanonen, von Geschlagenen, von Verängstigten, von Verletzten. Vom Knie des Polizisten auf dem Hals des jungen Demonstranten. Von Mädchen mit erhobenen Händen kurz vor ihrer Verhaftung.

Aber die Mädchen in Schuluniform, mit den später verbotenen Masken auf dem Gesicht, sich bei den Händen haltend; die mutig durch eine Straße marschierende Frau mit dem „Love“-Schild in der Hand; die trostspendenden Umarmungen; der still ein Protest-Plakat in die Höhe haltende Student in einer vollbesetzten Mall: Wenn sie nicht Frieden zeigen, so zeigen sie doch den brennenden Wunsch danach. Nach einem Frieden, der Meinungs- und Pressefreiheit bedeutet, die Freiheit vom Zugriff einer Partei, die Opposition nicht dulden will. Oder wenigstens doch auf einen Frieden, der einst bis 2047 garantiert werden sollte. Den es nun aber schon jetzt nicht mehr gibt.

Der Fotograf Nicolas Asfouri, geboren in Beirut, hat die dänische Staatsbürgerschaft und hat seine Karriere 2001 in London als Freelancer für die Agentur Agence France-Presse begonnen, bevor er 2004 festes Mitglied von AFP wurde. Seit 2016 ist er Senior Photographer im Pekinger AFP-Büro. Nicolas Asfouri, schon als Kind in ein Epizentrum der Konflikte hineingeboren, in den Libanon, ist definitiv kein Fotograf von Blumenbeeten und Sonnenuntergängen; seine Reportagen sind in Pakistan und Afghanistan, in Myanmar und Kambodscha entstanden, in Japan beim Tsunami, in Thailand während einer Flut. Einmal hat er aufhören wollen, als ein Freund von ihm 2014 in Afghanistan starb.Aber er hat nur als Kriegsfotograf aufgehört – und fotografiert nun das Thema Menschenrechte. Was nur eben bedeutet: Den Kampf für Menschenrechte. Also notgedrungen alles das, was noch nicht Frieden ist. Aber zu Frieden führen soll. Für seine Hongkong-Reportage ist er 2020 auch mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet worden.“

Nachfolgend eine Bildauswahl aus der Serie „Hongkong Unrest“ von Nicolas Asfouri:

Der Global Peace Photo Award

Der Global Peace Photo Award wird in Kooperation von Photographischer Gesellschaft (PHG), Edition Lammerhuber, UNESCO, Österreichischem Parlament, der Vereinigung der Parlamentsredakteurinnen und -redakteure, des Internationalen Press Institute (IPI), des Deutschen Jugendfotopreises und der World Press Photo Foundation ausgelobt. Weitere Infos unter www.friedaward.com.
 
Inspiriert wurde der Preis von dem österreichischen Pazifisten und Schriftsteller Alfred Fried (geboren am 11. November 1864 in Wien; gestorben am 4. Mai 1921 in Wien). Fried wurde 1911 gemeinsam mit dem Organisator der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht Tobias Asser der Friedensnobelpreis verliehen. 

Die Bilder des Global Peace Photo Award werden am Festival La Gacilly-Baden Photo ausgestellt und sind dort bis zum 17. Oktober 2021 zu sehen.

Übrigens: Die Gewinner des Global Peace Photo Award 2021 werden am 21. September im Österreichischen Parlament bekanntgegeben.