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Lucia geht ins Museum

Lucia Bartl ist Fotografin und Filmemacherin (c) Lucia Bartl

Lucia Bartl ist Fotografin und Filmemacherin (c) Lucia Bartl

Als Edward Steichen 1955 mit seiner weltbekannten Ausstellung „The Family of Man“ ein ähnliches Projekt ins Leben rief, war die Ausgangslage noch eine andere. Nach den Erschütterungen des Zweiten Weltkriegs wollte Steichen die Vielfalt der Kulturen zeigen und mit seiner humanistisch ausgerichteten Kuration einen universellen Überblick über die Menschheit, die „Familie der Menschen“, vermitteln. In über 500 Aufnahmen aus 68 Ländern und vor einem Publikum von mehr als 10 Millionen Menschen gehört diese Ausstellung zu den erfolgreichsten der Fotogeschichte (www.steichencollections-cna.lu/deu/collections/1the-family-of-man). 

Es ist daher wenig verwunderlich, dass bis zu diesem Zeitpunkt kein vergleichbares Projekt gewagt wurde. 

Der Titel „Zivilisation“ im Singular ist eine kluge Wahl. Unsere Realität ist so vielschichtig, dass es an sich bereits eine Herausforderung ist, sie in einer einzigen Ausstellung zu fassen. Doch der Begriff „Zivilisation“ vereint eine Vielzahl von Themen, die uns alle betreffen. Während noch zu Steichens Zeiten der Begriff Zivilisation oft mit einer kolonialen Arroganz des Westens verbunden war – unzivilisiert als Synonym für barbarisch und ungebildet –, steht er heute für die Gesamtheit aller Menschen. Durch Globalisierung und „Modernisierung“ befinden wir uns in einer Phase der Homogenisierung, die auch Unterschiede und Traditionen zu verwischen droht. Die Digitalisierung schafft zwar ein enormes Wissen, gleichzeitig werden regionale und kulturelle Eigenheiten zunehmend ausgelöscht. 

„Wir sind Zeugen der Entstehung einer einzigen planetarischen Zivilisation“, zitiert Todd Brandow im Vorwort der Ausstellung den Philosophen David Wilkinson. Diese Revolution ist bereits in vollem Gange und wird durch Künstliche Intelligenz weiter vorangetrieben. 

Auch in der Fotografie vollzieht sich eine Revolution. War sie in den 1950er Jahren noch ein unumstrittenes, glaubhaftes Medium, das ausschließlich von einer kleinen Gruppe hochqualifizierter Fotografen beherrscht wurde, ist die Fotografie heute ein Massenmedium – und ihre Glaubwürdigkeit leidet zunehmend unter digitalen Manipulationen. 

Trotzdem bleibt die Fotografie ein ausgezeichnetes Mittel, um komplexe Zusammenhänge und Strukturen darzustellen. Die ausgewählten Künstler – darunter große Namen wie Candida Höfer, Alec Soth und Thomas Struth – geben in ihren Arbeiten persönliche und gesellschaftliche Eindrücke wieder. Von Megastädten über Umweltzerstörung bis hin zu Themen wie Einsamkeit, Kontrolle und sozialen Brüchen entstehen durch diese hochqualitative Auswahl an Kunstwerken vielschichtige Bilder unserer Zivilisation mit all ihren Widersprüchen und Ängsten. Die Fotografien werden so zu Artefakten unserer Zeit und spiegeln die globalisierte Gesellschaft wider. 

Nicht ohne Grund stellen die Ausstellungsmacher die Frage, wie diese Bilder wohl in 70 Jahren wahrgenommen werden. Werden zukünftige Betrachter noch  Bezüge zu ihrer eigenen Realität finden oder lediglich staunen, was einst war? 

Olaf Otto Becker: »Point 660, 2, 08/2008 67°09‘04“N, 50°01‘58“W, Höhe 360 m«, 2008, aus der Serie Above 
Zero Foto: Olaf Otto Becker
Candida Höfer: Augustiner Chorherrenstift Sankt Florian III 2014 Foto: Candida Höfer, Köln, VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Michael Najjar: orbital ascent, 2016, aus der Serie outer space Foto: Michael Najjar

Civilization: Wie wir heute leben“ ist noch bis zum 24. August in der Münchner Kunsthalle zu sehen. 

* Lucia Bartl ist Fotografin und Filmemacherin.